Konflikte in Familienfirmen können mit einer Familienstrategie gemildert werden.
Konflikte in Familienunternehmen werden aufgrund der komplexen Verbindung von Geschäft und Emotionen als Ringen um Macht, Geld und Liebe beschrieben. Sind derartige Konflikte einmal eskaliert, ist es praktisch kaum mehr möglich, ihre Ursache zu ermitteln. Das erschwert die Rückführung des Konflikts auf eine sachliche Ebene erheblich. Psychologinnen zufolge liegt der Ursprung von Spannungen in Unternehmerfamilien häufig in der Empfindung, ungerecht behandelt zu werden.
In einem Fall aus unserer Praxis wurden zwei Brüder mit rund zehnjährigem Altersunterschied vom Vater noch auf dem Sterbebett mit der Unternehmensgruppe bedacht. Dabei erhielt der ältere Bruder 70 Prozent und der jüngere Bruder 30 Prozent der Aktien. Dies konnte und wollte der Jüngere nicht akzeptieren. Jahrelang hat sich dann «etwas» aufgestaut, bis zu den Kindern und Ehefrauen der beiden Brüder.
Ein Wendepunkt im Denken und im Verhalten war der anstehende Generationenwechsel, infolgedessen entschieden wurde, dass die Kinder der Gebrüder konkrete Funktionen übernehmen sollen. Eine ganzheitliche Familienstrategie erlaubte es, den einstigen Keil zwischen den Familien wegzunehmen. Die zwei Brüder zogen sich sukzessive zurück, in der Übereinkunft, dass die Aufteilung der Aktien gleichermassen auf die nachfolgenden vier Kinder erfolgt.
In einem anderen Fall entschied der Gründungsvater einer Unternehmensgruppe, dass der einzige Sohn der Grossfamilie seine Nachfolge antreten solle. Die vier Töchter gingen leer aus. Diese aus dem bäuerlichen Umfeld bekannte Nachfolgeregelung kam bei den Töchtern nicht gut an. Erst eine initiierte Familienstrategie hat erreicht, dass die Geschwister am runden Tisch zusammenkamen. Dabei erkannten alle, dass ein gemeinsames Auftreten im Markt grössere Chancen bietet, auch ihre Kinder für die Firmengruppe zu begeistern.
Entfremdung vermelden
Die beschriebenen Entwicklungen im Aktionärskreis – vor allem dessen Zersplitterung – können eine latente Entfremdung der Nachkommen vom Familienunternehmen nach sich ziehen. Die Vitalität unternehmerischen Engagements durch familiäre Verbundenheit verkehrt sich dann leicht ins Gegenteil: Schwindendes Interesse für das Unternehmen können etwa ineffizientem Management Vorschub leisten. Auch wird es schwieriger, den für Familienunternehmen typisch langfristigen Investitionshorizont zu wahren und unbequeme Entscheidungen herbeizuführen – insbesondere zugunsten von Investitionen und zulasten von Dividenden. Spätestens wenn die Familie sehr gross ist oder wenn absehbar wird, dass Alltagsfragen nicht mehr Face to Face besprochen und bearbeitet werden können, ist es ratsam, sich einem familienstrategischen Prozess zu stellen. Die oftmals bereits gelebten Praktiken, implizit gemeinsam erarbeitete und kommunizierte Werthaltungen und Verhaltenserwartungen werden in einem solchen Rahmen erörtert und verhandelt. In beiden oben erwähnten Fällen folgten darauf eine Eignerstrategie (Kernfrage: Was wollen die Aktionäre?) sowie anschliessend der oft diskutierte, aber zwingend notwendige Aktionärsbindungsvertrag.
Die Etablierung einer Familienstrategie mit Ausfluss einer allgemeingültigen Familienverfassung sowie einer Eignerstrategie sind optimale Lösungsansätze, um das Potenzial zwischen Liebe, Vermögen und Macht zu entfalten und die entstehenden Zwischenräume durch die einhergehende Transformation und mithilfe einer Familienversammlung oder einem Familienrat nutzen zu können.
Artikel von Rolf Brunner, Partner & VR-Präsident CONTINUUM AG, in der Handelszeitung vom Samstag, 9. Juli 2022.